Nachruf auf Karin Kestner
Bundesverband der Dozenten für Gebärdensprache e.V.
trauert...
Karin Kestner - Einzigartige Wegbereiterin für bessere Bildungschancen
Seit vielen Jahren engagierte sie sich, bis zu Ihrem Tod, unermüdlich in verschiedenen Bereichen der hörgeschädigten Menschen, insbesondere der Gehörlosen.
Vor über 25 Jahren entdeckte sie die Gebärdensprache für sich, was ihr Leben grundlegend verändern sollte.
Der Auslöser war der Film „Gottes vergessene Kinder“. In jener Zeit interessierten sich viele Hörende für die Gebärdensprache und die Welt der Gehörlosen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung in der Gebärdensprachlehre. Die Gebärdenkurse waren gut besucht, fast überlaufen. Ein gab einen regelrechten Boom der Gebärdensprachkurse. Zu jener Zeit existierte der Verband erst einige Jahre. Unter den Teilnehmern für den Gebärdensprachkurs war Karin Kestner. Noch ahnungslos, was dieser Einstieg für sie bedeuten würde.
Damals war es noch ein lautsprachbegleitender Gebärdenkurs. Die Gehörlosen und die Gebärdensprache waren lange Jahre unterdrückt worden. Das Bewusstsein für die eigenständige Sprache „DGS – Deutsche Gebärdensprache“ sollte erst nach und nach wachsen.
Sie merkte sofort, dass sie die Gebärdensprache unbedingt richtig erlernen müsse und verfolgte dies zielstrebig. So schnell wie nur möglich. Sie ging in weitere Gebärdensprachkurse und tauchte auch in anderen Bereichen in die Welt der Gehörlosen ein. Sie wollte möglichst viel von der Deutschen Gebärdensprache in sich aufnehmen. Sie besuchte stets das Gehörlosenzentrum, um die Gebärden, die dort in der Unterhaltung vorkamen, aufzuschnappen und weiter zu lernen. Sie war offen und direkt. Sie merkte dabei schnell, wie viel Unterdrückung durch orale Erziehung die gehörlosen Menschen erleben mussten. Und ihr Gedanke war, dass diese Ungerechtigkeiten aufhören müsse.
Sie wurde Gebärdensprachdolmetscherin und Verlegerin für Gebärdensprachmaterialien. Ihre Zielstrebigkeit brachte sie nie aus dem Konzept, trotz Kritik und Diskussionen. Und Ihre Ideen setzte sie dennoch stets um.
Sie dachte sich: „Es muss endlich Gebärdensprachmaterialien geben, mit denen man auch richtig lernen kann“. Sie war eine der ersten Hörenden, die sagte: „Los geht’s. Wir müssen endlich anfangen und können nicht mehr auf andere warten.“ Das erste Ergebnis: 777 Gebärden. Sie bezog Gebärdensprachdozenten unseres Verbandes ein. Daraufhin entstanden gemeinsame Filmproduktionen. Und es folgten weitere Projekte von „Tommys Gebärdenwelt 1-3“ bis hin zum großen Wörterbuch „Der Kestner“, welches sich als Mammutprojekt herausstellen sollte.
Damit sollte sie Wellen schlagen. Viel mehr Menschen nutzen diese Materialien, als Anfangs gedacht. Die Materialien nahmen Einzug in Fördereinrichtungen, die sich nach und nach zur Unterstützung der Gebärden ausgerichtet hatten. Auf den Übungsblättern waren Gebärdenbilder zu sehen, die die Dozenten zeigten. Und auch Kinder arbeiten mit diesen Materialien.
Auch in Regelkindergärten oder anderen Einrichtungen hielt das Gebärdensprachmaterial Einzug und alle sollten davon profitierten. Die ersten „Kestner – Kinder“, Eltern und andere Erwachsene beschäftigten sich mit diesem Material. Das Wörterbuch DGS nahm auch Einzug in der Beratung zur unterstützenden Kommunikation. Mittlerweile nimmt es einen noch viel größeren Platz ein.
Dadurch wuchs auch die Elternhilfe. Viele Eltern riefen sie an und ließen sich von ihr ehrenamtlich beraten. Diese Erfahrungen zeigten ihr, dass Bildung durch Gebärdensprache ihren Kindern bessere Entwicklungsmöglichkeiten bot. Ihr Ziel war dabei stets für gleiche Bildungschancen zu sorgen. Sie akzeptierte den lautsprachlich orientierten Bildungsweg für gehörlose Kinder an Fördereinrichtungen für hörgeschädigte Kinder nicht und machte klar, was für ein Potential die Gebärdensprache für die Kinder hat. Auch lehnte sie die einseitige Beratung durch Ärzte ab.
Gehörlose Kinder konnten sich durch die DGS auch im Kindergarten und in der Schule uneingeschränkt entwickeln. Sie ging mit vielen Eltern diesen Weg. Als Ergebnis besuchten viele „Kestner – Kinder“ die Schule mit Gebärdensprachdolmetschern, was den Kindern deutlich mehr Möglichkeiten einräumte. Die Familien und ihre Kinder konnten endlich aus mehreren Möglichkeiten wählen. Der Bildungsweg gehörloser Kinder war nicht länger einseitig.
Sie war in dieser Zeit der Fels in der Brandung für die ratsuchenden Familien.
Manch Eltern mussten sich einen Hausgebärdensprachkurs erkämpfen oder die Regelbeschulung mit Gebärdensprachdolmetschern durchsetzen. Sie war hier stets zuversichtlich und kam nicht von ihrem Weg ab. Denn sie wusste, dass es möglich ist. Sie hat sich in verschiedene Themenfelder und in die Gesetzen eingearbeitet und veröffentlichte ein Rechtsleitfaden auf ihrer Webseite www.kestner.de. Viele Gebärdensprachdozenten, die kontaktiert wurden und werden, geben den Link an Ratsuchende weiter.
Mit den Hausgebärdensprachkursen eröffnete sich für die Gebärdensprachdozenten ein neues Einsatzgebiet, der Unterricht von Kindern und ihren Eltern. Karin Kestner wusste, wie händeringend Dozenten gesucht werden. Daraufhin öffnete sie auf ihrer Webseite eine Rubrik für die Suche nach Gebärdensprachdozenten.
Ihr Wissen gab sie stets weiter. Auch hat sie Gebärdensprachdozenten beraten. Im Bezug auf Hausgebärdensprachkurse trat sie mit der Bitte an unser Verband heran die Konzepte weiterzuentwickeln und den Weg weiterzugehen. Allgemein unterstützte sie die Professionalisierung des Berufes. Auf Bitten von Gebärdensprachdozenten und weiteren Förderern veröffentlichte sie eine erste Konzeption für Hausgebärdensprachkurse als Buch in ihrem Verlag. Es sollte ihr letztes veröffentlichtes Projekt werden, welches sie trotz schwerer Krankheit fertigstellte. Auch darin gab sie ihr Wissen weiter.
Sie versuchte in vielen verschiedenen Bereichen für Verbesserung zu sorgen, dabei erreichte sie viele Meilensteine. Weitere Meilensteine wollte sie gemeinsam mit allen zusammen erreichen. Leider zwang eine schwere Krankheit sie dazu, an sich selbst denken zu müssen. Im Juni 2017 bekam sie verdient das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Stets stand sie auf und sorgte öfters für ein Erdbeben in der Welt der Gehörlosen, aber auch in der hörenden Welt. Wir alle haben sie wirklich für die Weiterentwicklung gebraucht. Zuletzt beim „Cochlea Implantat – Zwang“ in Goslar. Trotz Krankheit nahm sie mit einem Vortrag zur Elternperspektive bei der Fachtagung des Deutschen Gehörlosenbundes teil.
Im Alter von 63 Jahren starb Karin, die einzigartige und unermüdliche Wegbereiterin für Bildung in Gebärdensprache, besonders für gehörlose Kinder, am 4. Juni 2019 nach schwerer Krankheit.
Wir trauern mit ihrer Familie und werden ihr stets gedenken.
Bundesverband der Dozenten für Gebärdensprache e.V.
-Vorstand und Mitglieder/innen-